Ein Hirnschlag ist ein tragisches Schicksal. Doch die Hirnschlagbehandlung macht grosse Fortschritte. Wer die Hirnschlagsymptome kennt und richtig reagiert, kann anderen Menschen das Leben retten und sie vor bleibenden Schäden bewahren.
Der Hirnschlag ist zurecht gefürchtet. Nathalie K. Schien noch zu jung, um sich damit zu beschäftigen. Dennoch traf es sie eines Tages. Die 49-jährige Werberin arbeitete an einem Abend etwas länger und zog sich anschliessend in der Garderobe ihren Wintermantel über. Plötzlich merkte sie, dass etwas nicht stimmte, denn es fiel ihr schwer, den Mantel zuzuknöpfen. Sie setzte sich erst einmal auf den Stuhl. Als sie wieder aufstehen wollte, merkte sie wie ihr linkes Bein nachgab und sie hinfiel.
Zum Glück tauchte ein Arbeitskollege auf, der den Ernst der Lage gleich erfasste. Als er Nathalie K. fragte, was mit ihr los sei, murmelte sie unverständliche Worte, die eine Gesichtshälfte hing herunter. Für ihn waren dies klare Warnzeichen: Es könnte ein Hirnschlag sein! Er alarmierte sofort den Notruf 144 und Nathalie K. wurde kurz darauf im Stroke Center des Berner Inselspitals behandelt.
Jede Minute zählt!
Warum war es so wichtig, dass der Arbeitskollege rasch die Ambulanz alarmiert hat? «Weil bei einem Hirnschlag jede Minute zählt», erklärt Prof. Marcel Arnold, Chefarzt und Leiter des Stroke Centers am Inselspital Bern. Bei einem Hirnschlag erhält das Gehirn zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe. Die empfindlichen Nervenzellen werden geschädigt und sterben rasch ab. Meist ist ein Gerinnsel, das eine Hirnarterie verstopft, die Ursache. Deshalb ist es wichtig, dass das blockierte Gefäss so rasch wie möglich wieder befreit wird.
Fortschritte im Stroke Center
«Die akute Behandlung eines Hirnschlags hat in der letzten Zeit grosse Fortschritte gemacht», sagt Prof. Arnold. Seit über zwanzig Jahren löst man die Blutgerinnsel mit einer sogenannten Thrombolyse auf. Das Medikament verabreicht man venös oder spritzt es direkt in das Gerinnsel. Die bedrohlichen Verschlüsse in den grossen Gefässen kann man seit einigen Jahren mit einem sogenannten Stent-Retriever beseitigen. Über die Arterie in der Leiste schiebt man ein Metallgitter, eben den Stent-Retriever, bis ins Hirngefäss vor. Dort entfaltet sich das Gitter. Das Gerinnsel verfängt sich darin und kann mit dem Gitter herausgezogen werden. Die Blockade des Blutflusses ist behoben und das Gehirn wird wieder ausreichend versorgt. Diese Behandlung funktioniert bei den meisten Patienten jedoch nur ein paar Stunden nach Beginn der Symptome. Doch auch diesbezüglich macht die Hirnschlagmedizin Fortschritte. Gewisse Hirnschläge werden heute auch bis zu 24 Stunden nach Symptombeginn, in Einzelfällen sogar länger, behandelt. Eine optimale Hirnschlagbehandlung können jedoch nur spezialisierte Abteilungen vornehmen. Deshalb ist es wichtig, dass Betroffene direkt in ein Spital mit Stroke Center oder Stroke Unit kommen.
Warnzeichen ernst nehmen
Der Arbeitskollege von Nathalie K. hat also richtig reagiert, indem er nicht zögerte und glich zum Telefon griff. Dies gilt auch für solche Fälle, wo die Beschwerden wieder von sich aus verschwinden. Gewisse Betroffene haben nur einen vorübergehenden Hirnschlag, ein «Schlegli» oder eine «Streifung». Dies bedeutet allerdings keine Entwarnung. Denn das Risiko, dass sich in den nächsten Stunden oder Tagen ein grosser Hirnschlag ereignet, ist sehr gross. «Solche Warnzeichen soll man unbedingt ernst nehmen», sagt Prof. Arnold, «dies ist eine Chance, einen richtigen Hirnschlag zu verhindern.» Bei einer Streifung wird nach der Ursache für die Durchblutungsstörung im Gehirn gesucht. Betroffene erhalten gerinnungshemmende Medikamente, ausserdem werden die allfälligen Risikofaktoren, die zu den gefährlichen Gerinnseln führen, angegangen. Das heisst: Man behandelt den zu hohen Blutdruck, Cholesterinspiegel oder Blutzucker.
Rasche Hilfe kann Leben retten
Was bei Nathalie K. den Hirnschlag ausgelöst hat, lässt sich nicht mit Sicherheit nachvollziehen. Möglicherweise wurde ein Gerinnsel aus dem Herzen ins Gehirn geschwemmt. Nach zehn Tagen verliess Nathalie K. das Spital wieder. Leider musste sie anschliessend mit den Folgen des Hirnschlags kämpfen. Ihren Körper hatte sie nicht mehr so im Griff wie früher. Sie war etwas vergesslicher, zerstreuter geworden. In der Rehabilitation erlernte sie die verlorenen Funktionen mühsam wieder. Dies war aufwendig und auch psychisch nicht immer einfach zu verkraften. Ihre linke Hand ist noch heute teilweise gelähmt. Alltägliches bereitet ihr noch immer Mühe, also den Hosenknopf schliessen, eine Bluse anziehen, die Schuhe zuschnüren, die Zahnpasta auf die Bürste drücken. Das sie gewohnte Handgriffe nach fast fünfzig Jahren plötzliche nicht mehr beherrscht, findet sie beängstigend. Den geliebten Sport, das Badminton, musste sie vorübergehend aufgeben. Aber sie macht seitdem grosse Fortschritte. Und eines ist sicher: Hätte ihr Arbeitskollege nicht rasch und richtig reagiert, wäre vieles heut noch viel schlimmer oder sie wäre gar nicht mehr am Leben. Dafür ist sie ihrem Retter auch heute noch zutiefst verbunden.
Warnzeichen eines Hirnschlags
Merken Sie sich folgende Warnzeichen. Sie weisen auf einen akuten Hirnschlag hin:
- Plötzliche Lähmung, Gefühlsstörung oder Schwäche, meist nur auf einer Körperseite (Gesicht, Arm oder Bein)
- Plötzliche Blindheit (oft nur auf einem Auge) oder Doppelbilder
- Sprachstörungen oder Schwierigkeiten, Gesprochenes zu verstehen
Alarmieren Sie in solchen Fällen sofort den Notruf 144. Verlieren Sie keine Zeit, in dem Sie abwarten oder zuerst den Hausarzt oder andere Personen kontaktieren. Auch wenn die Beschwerden von allein verschwinden, bedeutet dies keine Entwarnung. Alarmieren Sie den Notruf lieber einmal zu viel als zu wenig.
Weitere Informationen zum Hirnschlag, zum Beispiel wie man ihm vorbeugen kann, finden Sie unter:
Empfohlene Hilfsmittel:
Magazin: Astrea Apotheke Dezember 2019